GALERIE PROFIL
2009

Den Auftakt 2009 bildete eine 4-teilige Ausstellungsstaffel zum Abschied von Inge Mahn als Professorin der Kunsthochschule Weißensee Berlin. Der wortspielerische Titel „Mahn oh Mahn“ stand ganz im Zeichen des experimentellen Ausstellungszyklus an dem insgesamt über 60 Künstler teilnahmen und der in einem Katalog dokumentiert wird.
Gezeigt wurden vier sehr unterschiedliche Expositionen in Eigenregie der Künstler unter der Federführung der beiden Kunststudenten Paul Dariusund Sophia Pompery. Die Palette der Arbeiten reichte von Malerei, Zeichnung, Collage und Fotografie über Objekt, Druckstock, Video, Aktion und Performance bis hin zur konzeptuellen Arbeit. Das Konzept der vierteiligen Ausstellungsstaffel, im Rhythmus von je nur einer Woche, zeigte, dass es sich um keine typische Galerieausstellung handelte. In kürzester Abfolge wurden vier sehr unterschiedliche Präsentationen hintereinander auf- und abgebaut. Das aufwendige und lebendige Rotationsprinzip spiegelte dabei auch den Lehrbetrieb an der Kunsthochschule wider, insbesondere das offene Lehrsystem der Bildhauerei, wie Inge Mahn es praktizierte: „Eine aktive, diskussionsfreudige Gruppe, zu der immer wieder neue Studierende dazu stoßen konnten, wie auch andererseits alte Bekannte gegangen sind. Eine Gruppe als nach außen offenes System.“ (Paul Darius) Alle Teilnehmer/innen gaben sich ein generations- und länderübergreifendes Stelldichein, das für viele Überraschungen sorgte und zum Teil auch auf sehr persönliche Art und Weise Inge Mahns Lehrtätigkeit würdigte.

Von März bis April präsentierte Daniel Sambo-Richter (* 1966) Malerei unter dem Titel „Impakt“, also Einschlag oder Aufprall (von lat. impingere = einschlagen).
Daniel Sambo-Richter bezog sich in seinen Motiven, zum Teil unter Verwendung von Pressebildern, auf typische Heldenfiguren (auch aus seiner eigenen Kindheit) und verfolgte, trotz einer realistischen Malweise einen formellen Ansatz. Das Bildnis des Soldaten „N“ erzeugte etwa durch Pose und Mimik des Dargestellten aber auch durch die Farbigkeit und den malerischen Duktus eine kaum erträgliche Widersprüchlichkeit: Kraftlos und erschöpft stützt sich ein sitzender Soldat auf eine bedrohlich und martialisch wirkende Waffe. Er nimmt dabei eine fast lapidare Haltung ein, die Ausdruck von Langeweile oder auch Resignation sein kann. Die Figur wird zum Sinnbild für die destruktive Kraft von Kriegen.
Mit der Serie der Soldatenportraits aktualisierte Daniel Sambo-Richter das Sujet historischer Kriegs- und Soldatendarstellungen und eröffnete zugleich einen zeitgenössischen Diskurs: die durch digitale Medien definierten Bilder von Soldaten, Helden und deren Mythen erhielten durch den Duktus der Malerei und eine narrative Formung eine andere zeitliche und stoffliche Wertigkeit. Im Rahmen der neuen Veranstaltungsreihe Executive Reception I/2009  in Zusammenarbeit mit „THE CORPORATE SUPPORTERS PROGRAM“ führte Michel Ackermann ein Klavierkonzert auf.

Ende April bis Anfang Mai folgte das Intermezzo XIII. Der berühmt-berüchtigte Künstler der Düsseldorfer Punkszene der 80er, Hansa Wißkirchen(* 1966), offerierte ironisch „Meine kleine sensorische Desorientierung”. Einst der quirligen und schrillen 80er-Jahre-Punk-Szene entsprungen, erweist er dieser Bewegung auch heute noch seine Ehrerbietung und präsentierte neben neuen Collagen auch Werke seiner frühen Schaffensphase. Er selbst charakterisiert seine künstlerische Entwicklung im Rückblick als eine vom belächelten Kitsch-Pop-Akteur zum ernst zu nehmenden Politik-Punk-Monteur. Deshalb erstarken in den letzten Jahren neben dem kontinuierlich punkigen Farben-, Formen- und Medienexperimenten vor allem reflektiert-politische und sozialkritisch-gesellschaftliche Positionen.
Es kann ein alter Münztaler sein, der den „sich auffressenden, gallopierenden Kapitalismus“ verkörpert oder aber lediglich der Schatten eines Reiskornes, der von Hansas Problembewusstsein der Dritten Welt zeugt. Für Hansa sind es jetzt vor allem die kleinen feinen Nuancen, die sein bisweilen irritierendes Oeuvre bereichern und auch vor der Kritik an seiner Person nicht Halt machen.

Nach Trash und Punk zeigte im Mai und Juni Frank Tornow konzeptuelle Landschaftmalerei. Die sinnfälligerweise mit „Landstücke“ betitelte Schau präsentierte kleine, hochformatige Leinwände mit dick aufgetragener Ölfarbe und über den Leinwandrand tretende Farbreste, mit denen Tornow Stimmungsbilder einer Landschaft kreierte.
Beim Autofahren durchstreifte Frank Tornow industriell geprägte Landschaften und an Landstraßen liegende Felder. Durch das Anhalten, Beobachten, Weiterfahren und Hineinsehen in die Landschaft entstand eine visuelle Sammlung von Natureindrücken. Ob „Dorf, Acker, Hof, Gebäude, Autobahn, Scheißwetter, Feld“, diese faktischen Bildtitel beschreiben eine brüchige Natur und geben den durchs Autofahren bedingten Ausschnittscharakter wieder. Frank Tornow will mit seiner Serie „Landstücke“ weder Desillusionierung thematisieren noch eine Nostalgie hervorrufen, sondern die Lust am Malen, an der physischen Materialität der Farbe. Daher lässt er die Farbe und ihren pastosen Verlauf das Bild bestimmen und setzt nur wenige Anhaltspunkte, wie horizontale oder vertikale Striche und objektbestimmende Farben hinzu, bis seine Bilderinnerung sich mit dem Bild auf der Leinwand deckt. Jedes Bild entsteht im Atelier und mittels des wiedererlebten Gefühlsmoments der Landschaftsbetrachtung. Anlässlich der Finissage gab es ein Cellokonzert von Augustin Maurs.

Die Ausstellung „Dog Days“ von Julia Brodaufbildete im Juli den Auftakt zur Ausstellungstrilogie „Island trifft Berlin“ in der EMERSON Gallery Berlin.
Als „Dog Days“ oder „Hundstage“ werden in alten Bauernkalendern die heißesten Tage des Jahres ab Anfang Juli bezeichnet und in Zusammenhang mit dem Sternbild Canis Major rund um den Stern Sirius gebracht. Während ihres Aufenthalts in Island folgte Julia Brodauf den Spuren eines historischen Abenteurers, der während dieser Periode einen Sommer lang dem abgeschiedenen Island eine Utopie der Freiheit von der dänischen Herrschaft bescherte. Seine Geschichte öffnete ihr die Augen für die Vergangenheit Reykjaviks und des Umlands und legte sich samt der dazugehörigen Figuren und Relikte wie ein Traumbild unter ihre Wahrnehmung das aktuellen Geschehens. Im rohstoffarmen historischen Island wurden aus Treibholz Hütten und Schiffe gebaut, die, bald wieder zerstört, erneut als Treibholz Eingang in den Kreislauf von Werden und Vergehen fanden. Analog dazu sammelte Julia Brodauf in Island eigene Bildbestandteile im Geiste der Ready Mades, nicht in der Natur, sondern mit der Schere in isländischen Publikationen, Büchern, Zeitungen, Prospekten und Ausstellungen. Dort also, wo Island sich selbst darstellt. Sie inszenierte sie in Modellen und Collagen zu einer Fotoserie, in der sich die Geschichten, Sagen und das selbst Erlebte zu einer persönlichen Mythologie verbinden, den „Sirius Series“ . Die „Sirius Series“ sind ein Epos des Wartens, der Abgeschiedenheit und der Ungeduld.

Das vierte SOMMERFEST DER INTERNATIONALEN KUNST in der EMERSON Gallery Berlin widmete sich der Begegnung von Island und Berlin. Zu der von Julia Brodauf und Malcolm Green kuratierten Ausstellung wurden sieben Künstler aus Reykjavik eingeladen, mit durchaus isländischem Gestus auf zeitgenössische gesellschaftliche Phänomene: Steingrimur Eyfjörd (* 1954) formt isländische Geschichten und Mythen um. In seinen konzeptionellen Arbeiten entstehen neue, aktuelle Definitionen. 2007 bespielte er den isländischen Pavillon auf der Venedig Biennale. Gudny Gudmundsdottir (* 1970) lebt und arbeitet in Berlin. Neben Zeichnungen und Skulpturen interessiert sie die deutsche Sprache als Klang- und Wortmaterial für Gedichte. Eine Videoarbeit dokumentierte in der Ausstellung Variationen der Sprach-Wahrnehmung. Hekla Dögg Jónsdóttir (* 1970) setzt sich mit Naturphänomenen Islands auseinander und schafft atmosphärische Installationen mit Sound und Neonlicht. Sirra Sigrún Sigurdardóttir (* 1970) verdeutlicht in ihren Werken übliche Sehgewohnheiten aufgebrochen und die Bedeutung der Gegenstände hinterfragt werden. In Installationen, Projektionen und in ihren Zeichnungen geht sie dieser Fragestellung nach. Erling T.V. Klingenberg (* 1970) ironisiert als Selbstdarsteller im Kunst- und Medienbetrieb den Kunstmarkt und schafft in seinen Installationen und Videoarbeiten prägnante Selbstinszenierungen. Sigtryggur Berg Sigmarsson (* 1977) fokussiert die Selbst-Verortung. In seinen Videoarbeiten und Performances stehen Monologe im Vordergrund, mit ihnen inszeniert er die Verbindung von Tragik und Komik. Helgi Thorsson (* 1975) kreiert in seiner Malerei und Bildhauerei eine künstliche Pop-Welt, in der alltägliche Gebrauchsgegenstände in ihrer künstlichen Wertigkeit entlarvt werden.
Hekla Dögg Johnsdottir, Erling T.V. Klingenberg und Sirra Sigrún Sigurdardóttir sind Mitglieder von Kling og Bang, der Künstler-Galerie, die die Reykjaviker Kunstszene seit sechs Jahren zu aktionistischen Arbeits- und Ausstellungssituationen versammelt und dieses Jahr die Londoner Freeze Fair eroberte. Sigtryggur Berg Sigmarsson und Helgi Thorsson sind als Musikband „Stilluppsteypa“ international erfolgreich. Zur Eröffnung fand ein Konzert/eine Performance mit Sigtryggur Berg Sigmarsson statt. Zudem gab es während der Ausstellung eine Lesung mit Gudny Gudmundsdottir.

Den Abschluss der Island-Trilogie bildete schließlich Malcolm Green (* 1952 in Leigh-on-Sea/ UK) im September. Bereits der Titel seiner Ausstellung „Madame sans Gène in Iceland“ verwies in seinem Wortwitz und seiner Ironie auf die Arbeitsweise von Malcolm Green, der geübt ist im Umgang mit Sprache. Neben Island ging es in dieser Schau um den Collagenroman „La Femme 100 Têtes“ von Max Ernst und um das Phänomen des „gene-robbing“, also den Genraub, der längst keine Fiktion mehr ist.
Was würden Sie tun, wenn Ihnen jemand mitten in der Nacht Ihre Gene raubt? Natürlich nach Island gehen, denn dort ist der Genraub bereits seit Jahren etabliert. Aber dann? Auf der Suche nach neuen Antworten auf die brennendsten Fragen des post-genetischen Lebens, der Kunst, der Liebe und der Hochfinanz in der nördlichsten Hauptstadt der Welt hat Malcolm Green „La Femme 100 Têtes“ von Max Ernst neu betrachtet. Der Collagenroman des gefeierten deutschen Surrealisten erschien im Jahr 1929. Achtzig Jahre später ent-collagiert und überarbeitet Green die Bilder von Ernst auf subtile Art und Weise. Er gibt ihnen einen frischen Überzug mittels neuer Texte, erfindet eine Vielzahl an Episoden und kreiert dabei ein collagiertes, oder vielleicht auch mutiertes „alter ego“ zu Max Ernsts „La Femme 100 Têtes“: Madame sans Gène. Die Ausstellung wurde abgerundet durch weitere neue Arbeiten, eigenständige Werke die halfen, noch mehr Licht auf die Forschungsergebnisse des Künstlers Malcolm Green zu werfen.

Im Oktober folgte eine Einzelausstellung der amerikanischen Künstlerin Ellen Sylvarnes (* 1961 in New York/ USA), einer „modernen Alchimistin“, einer Künstlerin, die gefundene und gesammelte Objekte mit akustischen Klängen versieht und mit rätselhaften, fast magisch wirkenden „Objet trouvés“ kombiniert. Der Titel ihrer ersten Einzelausstellung der EMERSON Gallery Berlin „Everything I Found and Endured“verwies auf die verschiedenen Realitäten der Dinge, ihr Eigenleben, den persönlichen Gebrauch von Gegenständen und den jeweiligen Kontexten. Eine ihrer künstlerischen Fragen berührt unmittelbar unsere alltägliche Welt: das „in die Hand nehmen“ von Dingen und Gegenständen und die damit eng verbundene Tatsache der visuellen und räumlich-körperlichen Grenzen zwischen dem Menschen, den Dingen und ihren Hüllen, Atmosphären und ihrer Aura. Wo verlaufen die Grenzen zwischen uns, den Menschen und unserer Umgebung? Wenn etwas „verinnerlicht“ wird, verliert es dann seine Äußerlichkeit? Wird das Körperliche geistig? – das sind Fragen, die Ellen Sylvarnes in ihren Installationen, Environments und ortsbezogenen Projekten bewegen und die sie den Betrachtern stellt. Eigens für Berlin entstand die Arbeit „With My Ear To The Ground“, eine Zusammenarbeit mit dem Sozialprojekt „The Eternal Eve“, einem kambodschanischen Seidenunternehmen betrieben von ehemaligen asiatischen Prostituierten. Mit Ganzkörperabdrucken auf großformatigen Seidenbahnen schafft Sylvarnes ein sowohl feministisches wie auch existenzielles Statement, das gewohnte Ansichten in Frage stellt.

Danach folgte das Intermezzo XIV. Die Berliner Künstlerin Ingrid Göttlicher hatte vom 7. August bis zum 18. Oktober 2009 ein monumentales Text-Wandbild mit dem Titel „Geschichte“ auf der Hausfassade im Innenhof der Schönhauser Allee 55 in Prenzlauer Berg geschaffen. Zum Abschluss dieses beeindruckenden Werkes präsentierte die Künstlerin im XIV. Intermezzo in der EMERSON Gallery Berlin Aspekte dieser Arbeit in der Ausstellung „15,20 m x 13,20 m“.
Bei der Fassadengestaltung kombinierte Ingrid Göttlicher zwei Texte, von denen einer inhaltlich Bezug nimmt auf das Wohnhaus und seine Historie und der andere als Zitat aus einem Werk zeitgenössischer Belletristik stammt.

Den Abschluss 2009 und Übergang zum Jahr 2010 bildete die Ausstellung „The Island“ mit Fotografien des kanadischen Künstlers John Haney. In seinem fotografischen Langzeitprojekt (begonnen 2007) hat der junge Kanadier Aufnahmen an der Küste der Halbinsel Avalon gemacht, am südöstlichsten Punkt von Neufundland. An diesem zugleich spezifischen, anonymen und globalen Ort findet ein unheimliches Naturschauspiel permanent wechselnder Wetter- und Lichtverhältnisse statt. Im extremen Querformat kommt die Weite des Motivs zum Ausdruck. Haney gelingt es, die Natureindrücke in seinen atmosphärisch höchst verdichteten Fotos einzufangen.
Die Seestücke wirkten extrem symbolisch aufgeladen und erschienen dem Betrachter als unterschiedlichste Stimmungsträger. Natürlich fordern die Bilder von Jahn Haney Vergleiche heraus: etwa mit Hiroshi Sugimotos an verschiedenen Orten fotografierten Meereslandschaften oder auch mit den symbolträchtigen Stimmungsbildern von Caspar David Friedrich. Die Kunstwissenschaftlerin Fatma Yalçin hat für solch menschenleere Darstellungen bzw. Bilder mit Rückenfiguren den Begriff „Anwesende Abwesenheit“ formuliert. Vielleicht erklärt sich dadurch das Schwanken der Gefühle des Betrachters der Fotografien Haneys zwischen Versunkenheit und Unruhe, Entspannung und Anspannung. Zumal die realen Größenverhältnisse ohne jeden optischen Bezugspunkt für dessen Auge nur schwer nachzuvollziehen sind. John Haneys Fotoserie ist daher eine Hommage an die Elemente und die Urkräfte der Natur, dokumentiert auf eine einzigartige Weise.
Zu Beginn der Ausstellung gab es eine Lesung zeitgenössischer Poesie aus Kanada mit Armanda Jernigan (dt./eng.) und ein Autorengespräch mit Hans Brückner.